Wissensordnungen des Rechts im Wandel

Päpstlicher Jurisdiktionsprimat und Zölibat zwischen 1000 und 1215

Stephan Dusil

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Monograph - paperback

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Fascinating insights into the origins of canon law as an academic discipline and legal knowledge in the High Middle Ages

Die Studie untersucht die Ordnung des mittelalterlichen Rechtswissens in vorgratianischen Sammlungen, dem Decretum Gratiani sowie den Glossen und Summen zum Dekret. Im Mittelpunkt steht also das kirchenrechtliche Wissen, das sich zwischen 1000 und 1215 grundlegend änderte: Während kirchliche Rechtsregeln um 1000 in Kanonessammlungen linear gespeichert waren, wurden sie im 12. Jahrhundert zu komplexem Rechtswissen miteinander verknüpft. Auf Basis einer umfassenden Auswertung der handschriftlichen Überlieferung wird der Wandel des Rechtswissens anhand des päpstlichen Jurisdiktionsprimats und des Zölibats analysiert. Zudem zeigt die Untersuchung den Einfluss der artes liberales und der Rhetorik bei der Ordnung kirchlicher Normen. Die Studie gibt so einen faszinierenden Einblick in die Entstehung der Kanonistik und zeigt zugleich die Vielfältigkeit und Vielschichtigkeit des juristischen Wissens im Hochmittelalter.

Between 1000 and 1215, the knowledge of canon law changed fundamentally. Although ecclesiastic rules of law had been linearly collected by 1000, they had evolved into complex, highly interlinked carriers of knowledge by 1215. By carefully examining manuscript transmission, this book elucidates the evolution of legal knowledge, taking papal jurisdictional primacy and clerical celibacy as an illustrative example. Furthermore, it shows the influence the artes liberales and rhetoric had on the organisation of canon law. This study thus offers fascinating insights into the origins of canon law as an academic discipline, thereby also demonstrating the diversity and multi-layeredness of legal knowledge in the High Middle Ages.

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Vorwort

Einleitung

Kapitel 1: Wissen über Jurisdiktionsprimat und Zölibat. Fragestellung und methodischer Ansatz

1. Zum Begriff des Wissens
 a) Ausgangsbefunde: Ansätze in den Geisteswissenschaften
 b) Zuspitzung: Rechtswissen in der historischen Kanonistik

2. Untersuchungsfelder: Päpstlicher Jurisdiktionsprimat und Zölibat
 a) Tu es Petrus: Der Jurisdiktionsprimat des Bischofs von Rom im mittelalterlichen Kirchenrecht
  (1) Ausgangspunkt: Der Jurisdiktionsprimat im heutigen Kirchenrecht
  (2) Rückblick: Die Herausbildung des Jurisdiktionsprimats bis zum Hochmittelalter
   α) Die frühe Kirche
   β) Ansätze zur primatialen Verdichtung
   γ) Frühmittelalterliche Entwicklungslinien
   δ) Die Durchsetzung des Jurisdiktionsprimats im Hochmittelalter
   ε) Zusammenfassende Überlegungen
  (3) Konkretisierung: Der Jurisdiktionsprimat als Untersuchungsgegenstand
 b) propter regnum caelorum: Der Zölibat im mittelalterlichen Recht

3. Wissensordnungen im Wandel: Entwicklung der Fragestellung aus der Perspektive der historischen Kanonistik

Kapitel 2: Ausgangspunkt: Kanonessammlungen im 11. Und 12. Jahrhundert

1. Quellenkunde: Vorgratianische Kanonessammlungen

2. Primus liber continet: Die Darstellung des Jurisdiktionsprimats und des Zölibats in vorgratianischen Sammlungen
 a) primae sedis episcopus aut princeps sacerdotum? Der Jurisdiktionsprimat zwischen episkopal-dezentraler und römisch-primatialer Perspektive
  (1) Das Decretum Burchards von Worms
  (2) Die Collectio 74 Titulorum
  (3) Die Panormia
  (4) Die Collectio Canonum Deusdedits
  (5) Wissensproduktion im Wandel: Resümierende Beobachtungen
 b) ut de carnali fiat spiritale coniugium: Der Zölibat
  (1) Das Decretum Burchards von Worms
  (2) Die Collectio 74 Titulorum
  (3) Die Panormia
  (4) Konstante Wissensbestände: Zusammenfassende Gedanken
 c) Wandel und Konstanz kirchlichen Rechtswissens im 11. und 12. Jahrhundert: Jurisdiktionsprimat und Zölibat im Vergleich

3. Die Formierung juristischen Wissens. Zu Texteingriffen, Rubriken und Ordnungskonfigurationen
 a) Methodische Beobachtungen zum Umgang mit Kanones
  (1) Das Decretum Burchards von Worms
   α) Kanones zum Jurisdiktionsprimat
   β) Kanones zum Zölibat
  (2) Die Collectio 74 Titulorum
   α) Kanones zum Jurisdiktionsprimat
   β) Kanones zum Zölibat
  (3) Die Panormia
   α) Kanones zum Jurisdiktionsprimat
   β) Kanones zum Zölibat
  (4) Die Collectio Canonum Deusdedits
 b) aliter se habet orientalium traditio ecclesiarum, aliter huius sancte Romane ecclesie. Vom Texteingriff zur Interpretation?

4. mihi canones facere non licet? Zur Reflexion des Umgangs mit normativen Texten
 a) Prologe zu Kanonessammlungen als Spiegel der Ordnungsvorstellungen der Kompilatoren
  (1) colligere: Das Vorwort zum Decretum Burchards von Worms
  (2) discretio: Die Praefatio zur Collectio Canonum des Deusdedit
  (3) dispensatio: Der Prolog Ivos von Chartres
 b) Von Sammlern und Interpreten: Resümierende Beobachtungen

Kapitel 3: Die gemachte und die gedachte Ordnung. Ordnungsvorschläge und ihre Umsetzung

1. Die gedachte Ordnung
 a) Ein hinführendes Beispiel: Bernold von Konstanz
 b) Bausteine des Ordnens
  (1) Isagoge und inventio: Zum Lektürekanon und zur Schulbildung im 11. und 12. Jahrhundert
  (2) Schweinehirt und König: Zur Verwendung dialektischer und rhetorischer Figuren im normativen Kontext
  (3) circumstantia: Autoritätskonstruktion und Autoritätsrelativierung
  (4) exempla: Zur Verwendung historischer Beispiele
  (5) dispensatio und necessitas: Das Abweichen von der Norm als Standard
  (6) auctoritates: Hierarchie als Ordnung
 c) diversi, sed non adversi: Zusammenfassende Überlegungen

2. Die gemachte Ordnung
 a) Ein hinführendes Beispiel: Bernold von Konstanz liest Burchard von Worms
 b) Zur Überarbeitung älterer Sammlungen
  (1) Zwischen Erhaltung und Adaption. Zur inhaltlichen Rezeption von Jurisdiktionsprimat und Zölibat
   α) Das Decretum Burchards von Worms
   β) Die Collectio 74 Titulorum
    αα) Konstanz und Wandel
    ββ) Ein neuer Entwurf? Zur Redaktion der schwäbischen Version
    γγ) Überarbeitung oder neue Sammlung? Zu einigen Derivaten der Collectio 74 Titulorum
   γ) Die Panormia
   δ) Appendizes – ein Sonderfall?
    αα) Das Decretum Burchard von Worms
    ββ) Die Collectio 74 Titulorum
    γγ) Die Panormia
    δδ) Zusammenfassende Beobachtungen
   ε) Zur Tradition der Ordnung: Bilanzierende Überlegungen
  (2) Notandum quod... Überarbeitungen älterer Kanonessammlungen in methodischer Hinsicht
 c) Neues Ansetzen? Die Collectio Trium Librorum, der Polycarpus sowie Bonizos De vita christiana und Algers De misericordia et iustitia
  (1) Die Collectio Trium Librorum und der Polycarpus
  (2) Bonizos von Sutri Liber de vita christiana
  (3) Algers von Lüttich De misericordia et iustitia
  (4) Vom Aufbrechen der Gattungen: Zusammenfassende Überlegungen

3. Zwischen Theorie und Praxis: Bilanz

Kapitel 4: Eine janusköpfige Kompilation? Das Decretum Gratiani

1. Quellenkunde: Das Decretum Gratiani
 a) Die vielen Gratiane
 b) Zur Überlieferung des Decretum Gratiani
  (1) Die erste Version (Gratian 1)
  (2) Die zweite Version (Gratian 2)

2. Wandel und Beharrung: Die Darstellung des Jurisdiktionsprimats und des Zölibats
 a) Der Jurisdiktionsprimat
  (1) Eine Bleistiftskizze: Gratian 1
  (2) Ein farbenprächtiges Gemälde: Gratian 2
 b) Konstanz statt Wandel? Der Zölibat

3. Beobachtungen zur Methode Gratians
 a) Vom perspektivischen Argumentieren zur ausführlichen Darstellung: Der Jurisdiktionsprimat
  (1) Das normative Grundgerüst: Gratian 1
  (2) Die umfassende Ausformung: Gratian 2
 b) Vom Ordnen und Zerstören: Der Zölibat
  (1) Ordnen nach causa, tempus, locus: Gratian 1
  (2) Assoziieren und Abschweifen: Gratian 2
 c) Von Wissensspeichern und kommentierten Autoritäten: Zusammenfassende Überlegungen

4. Die Einheit der Ordnungen. Eine Bilanz
 a) Struktur, inhaltliche Erschliessung und dicta
 b) Dialektik und Kanonistik. Zur Aufnahme rhetorischer und dialektischer Techniken
 c) Die Autorität zur Autoritätsrelativierung. Isidor als Argument für relative Rechtsgeltung
 d) Vorläufer und Einflüsse
 e) Nochmals: Die gemachte und die gedachte Ordnung

Kapitel 5: Relationales Rechtswissen. Kanonistik zwischen Kanonessammlungen und Glossa ordinaria

1. Die Unterwerfung des Decretum Gratiani: Die Dekretistik
 a) Quellenkunde: Dekretistische Literatur
 b) Beobachtungen zu Summen und Glossen
  (1) Apparat-Summen: Die Summa Quoniam in omnibus, die Summe Rufins und die Summa Parisiensis
   α) Inhaltliche Aussagen zu Jurisdiktionsprimat und Zölibat
   β) Apparat-Summen: Eine Mischform der Wissensvermittlung?
  (2) Synthese pur? Die Summa Coloniensis
  (3) infra ix questione iii aliorum. Einige Beobachtungen zu Glossen
 c) Im Spinnennetz des Rechtswissens. Zusammenfassende Überlegungen

2. Die Eroberung der Tradition? Ältere Ordnungsvorstellungen und dekretistischer Neuansatz
 a) Steinbrüche. Burchard von Worms als Normlieferant
 b) Die einheitliche Wissensordnung. Burchard und Gratian als Argument
 c) Die Verwissenschaftlichung des Unwissenschaftlichen: Glossen in vorgratianischen Sammlungen
 d) Verweigerungen? Vom Vorteil thematischer Sammlungen
 e) Resümierende Beobachtungen

3. Juristisches Experimentieren in einer Transformationsphase: Zusammenführende Überlegungen

Kapitel 6: Rechtswissen im langen 12. Jahrhundert

1. Rückblick
 a) Ordnung, Recht, Wissen. Konzepte und Ansätze
 b) Vom Kommen und Gehen kanonistischer Diskurse
 c) Transformationen der Wissensstruktur

2. Ausblick
 a) Mise-en-page und medialer Wandel
 b) Von Monstern, die in Doppeltexten leben
 c) Vom Kompilator zum Autor – und zurück?
 d) Strukturwandel des Rechtswissens im langen 12. Jahrhundert

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Handschriftenstudien

1. Siglenverzeichnis
2. Appendix zur Collectio 74 Titulorum im Manuskript Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Pluteus 16 cod. 15
3. Glossen zur Collectio 74 Titulorum

Verzeichnis benutzter Quellen und Literatur
1. Ungedruckte Quellen
2. Gedruckte Quellen
3. Lexika, Wörterbücher, Handschriftenkataloge und andere Hilfsmittel
4. Literatur

Register der Handschriften
Register der Personen
Register der Textsammlungen
Register der Textstellen (Konzilien, Dekretalen, sonstige Texte)

Format: Monograph - paperback

Size: 234 × 156 × 40 mm

642 pages

6 colour pages

ISBN: 9789462701335

Publication: October 23, 2018

Series: Mediaevalia Lovaniensia - Series 1-Studia 47

Languages: German

Stock item number: 124540

Stephan Dusil is professor of the Faculty of Law at KU Leuven.
Vorgeführt worden sind wenige Beispiele von den Erkenntnissen, die der Autor aufgrund seiner gründlichen, minutiösen Detailarbeiten gewonnen hat. Die Ergebnisse sind solide und, selbst wenn sie nicht durchweg spektakulär sein könnten, überzeugend. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Begriffe ‚Wissen‘ und ‚Ordnung‘ wohl nicht nur für die künftige Forschung der Geschichte des kanonischen
Rechts aufschlussreich sein, sondern auch die Teilnahme der historischen Kanonistik an der interdisziplinären Zusammenarbeit fruchtbar machen werden. Als Beispiel sei hier auf die interdisziplinäre Glossenforschung abgehoben, welche die Glossierung als ein verschiedenen Kulturen gemeinsames Phänomen betrachtet.
Tatsushi Genka, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Kanonistische Abteilung | Volume 106, Issue 1, 2020, https://doi.org/10.1515/zrgk-2020-0019

 
The history of canon law can no longer be told as a succession from one figure or collection to the next; Dusil has given an excellent example of the type of scholarship that acknowledges and explains a much more complicated, intertwined reality.
Atria A. Larson, Law and History Review May 2020, Vol. 38, No. 2, DOI: https://doi.org/10.1017/S0738248020000139

 
Historians of medieval schools and the disciplines of theology, philosophy, the liberal arts, and Roman law should all give attention to D.’s research; it helps us understand not just how canon law could start to develop as its own discipline but how intellectual culture as a whole could so fundamentally change between 1000 and 1200.
Atria A. Larson, Mittellateinisches Jahrbuch, Band 55 (2020), Heft 1

 
Les spécialistes d’histoire intellectuelle et les historiens des mentalités autant que les historiens du droit liront avec plaisir et profit le savant livre de Stephan Dusil, dont le style élégant met à la portée de chacun la subtilité du raisonnement et l’érudition déployées.
Franck Roumy, Francia recensio, 2019 | 2, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.2.62795

 
Stephan Dusil shows throughout his ‘magnum opus’ that he has mastered very well the large research tradition his study is related to. He not only discusses with the long and large tradition of study of different canonical collections, but he also knows the discussions regarding various manuscripts and manuscript traditions regarding each of the used collections. Additionally, he is well read in history of law, history of the Catholic Church, as well as medieval society. In addition to the long list of literature, the list of used sources—both in edited and manuscript form—shows that author knows well the medieval source tradition he is trying to explain.
Kirsi Salonen, Bulletin of Medieval Canon Law, Volume 36, 2019

 
The merit of Dusil’s work is to be found in the fact that he is the first to explore knowledge related to canon law. By doing so, the author has broken new ground in the research on the science of canon law in the High Middle Ages. Even though scholars have shown interest in questions and approaches of the history of methods for some time, the notion of knowledge has not been included systematically in these considerations. In this respect, Dusil’s work offers an innovative approach to the sources of canon law, especially those of the High Middle Ages.
Philipp N. Spahn, Rechtsgeschichte - Legal History, Rg 27 (2019), http://dx.doi.org/10.12946/rg27/315-316


 
At just over five hundred pages of text, the book may appear daunting at first. However, frequent recapitulation and a methodical structure help the reader stay focused on the big picture and make for an easy read. Specialists in canon law, and legal and intellectual historians in general, will find much to praise in Dusil’s wide-ranging study.
John Burden, Speculum 95/1 (January 2020), doi:10.1086/706554